Nachruf

Eben rat­ter­test und knat­ter­test du noch fröh­lich in den Mon­tag­mor­gen hin­ein. Und nun plötz­lich Toten­stille. Das übli­che Zure­den, Ein- und Aus­schal­ten, rüt­teln und schüt­teln, noch ein­mal zure­den. – Nichts und noch­mals nichts. Die Stim­mung ist schon am Kip­pen, als plötz­lich auf dem Bild­schirm die­ser eine, end­gül­tige Satz auf­leuch­tet: „Die Lebens­zeit eini­ger Ele­mente die­ses Druckers ist abgelaufen.“ 

Bestür­zung, Trauer – und nicht zu ver­hin­dern, auch ein klit­ze­klei­nes Gefühl von Ärger. Das anschwillt… Soeben noch kern­ge­sund, und jetzt mau­se­tot. Dia­gnose: Tot durch ein­pro­gram­mierte Ablauf­frist. Schliess­lich müs­sen die Her­stel­ler immer wie­der neue Drucker erfin­den und ver­kau­fen kön­nen. Das ist wich­tig für die Wirt­schaft. Darum warst du heute, nach sechs lum­pi­gen Jah­ren, über­fäl­lig. Noch zwei, drei Über­li­stungs­ver­su­che. Doch die Elek­tro­nik lässt sich nicht über­töl­peln, abge­lau­fen ist nun mal abge­lau­fen. Basta. 

Und weil für dich ein Wei­ter­drucken ohne diese abge­lau­fe­nen Ele­mente offen­bar nicht in Frage kommt, bist du für uns kli­nisch tot. Tut mir leid, dass wir nicht ein­mal mehr den Ver­such unter­nom­men haben, dir Ersatz­teile zu besor­gen. Wer weiss, viel­leicht hät­ten wir nach drei Tagen Suche im hal­ben Land in irgend­ei­nem Lager gar noch das eine oder andere Ele­ment gefun­den, mit dem dein Leben um wei­tere sechs Jahre hätte ver­län­gert wer­den können. 

Wir schätz­ten die Chance als gering ein. Weil du längst ein aus­ge­lau­fe­nes Modell bist, von dem die Ver­käu­fe­rIn­nen wahr­schein­lich nicht ein­mal mehr wis­sen, dass es dich ein­mal gab. Lebens­ver­län­gernde Mass­nah­men sind für sol­che wie dich nicht vor­ge­se­hen. Repa­ra­tur, das war frü­her. – Dein Ein­stands­preis, damals vor sechs Jah­ren, war so gün­stig, dass wir uns eigent­lich glück­lich schät­zen soll­ten, dass du über­haupt so lange durch­ge­hal­ten hast. Natür­lich hat­test du es gut bei uns. Nebst Rech­nun­gen waren es vor allem Spe­zi­al­auf­ga­ben, die wir dir anver­traut haben. 

Bei jeder DVD, die du für uns bedruckt hast, erhiel­test du spe­zi­elle Strei­chel­ein­hei­ten. Da warst du stur – ohne diese Zusatz­auf­merk­sam­keit ging nichts. Und gefräs­sig warst du. Kaum hat­test du dir die ver­langte Magenta-Patrone ein­ver­leibt, schriest du nach Cyan, Gelb und Schwarz. Ich muss zuge­ben, unser Ver­hält­nis war nicht immer das beste. Nur aus Rück­sicht auf die Nach­barn bist du nie aus dem Fen­ster geflogen.

Doch jetzt, wo du uns so uner­war­tet und sinn­los ver­las­sen muss­test, erin­nere ich mich vol­ler Weh­mut an unsere gemein­same Zeit. Wäh­rend du in der Garage auf deine end­gül­tige Ent­sor­gung war­test. Im Büro ist bereits dein Nach­fol­ger ein­ge­zo­gen. Neuer, raf­fi­nier­ter und schö­ner als du je gewe­sen bist. Sogar die DVDs druckt er ohne Spe­zi­al­be­hand­lung – und Tin­ten­pa­tro­nen mag er auch. Nur lei­der ver­schmäht er jene, die du hin­ter­las­sen hast…

AKW – BKW

Gross ist die Sorge bei den Strom­ma­na­gern, in Bälde den wach­sen­den Ener­gie­hun­ger ihrer Kund­schaft nicht mehr stil­len zu kön­nen. Des­halb müs­sen sie viel Geld auf­wer­fen, um die Bevöl­ke­rung über die Unbe­denk­lich­keit von Atom­strom auf­zu­klä­ren. Eigent­lich wäre die Abstim­mung über die Zukunft des BKW-AKWs in Müh­le­berg eine gute Gele­gen­heit für schwung­vol­les Lob­by­ing gewesen.

Doch die BKW, die zum gröss­ten Teil dem Kan­ton Bern und damit dem Volk gehört, musste sich Zurück­hal­tung auf­er­le­gen. So wollte es die Regie­rung, und auch die Kon­zern­lei­tung war offen­bar zum Schluss gekom­men, dass zuviel Pro­pa­ganda in die­sem Fall kon­tra­pro­duk­tiv sein könnte. Noch vor zwei Jah­ren hatte der Schweiz dritt­gröss­ter Strom­kon­zern im Vor­feld einer ähn­lich gela­ger­ten Abstim­mung in der Waadt eine halbe Mil­lion Fran­ken ver­but­tert. Doch die Zei­ten ändern sich – und mit ihnen die Methoden.

Weil viele BKW-Kun­dIn­nen eine Abnei­gung gegen Atom­strom haben, hat der Kon­zern sein Ange­bot erwei­tert. Denn längst ist Strom nicht mehr gleich Strom. Zwar beträgt der Anteil an Atom­strom im BKW-Ange­bot nach wie vor 60 Pro­zent. Doch wer bereit ist, etwas tie­fer in die Tasche zu grei­fen, kann heute für einen beschei­de­nen Auf­preis von 3,5 Rap­pen pro Kilo­watt­stunde zer­ti­fi­zier­ten rei­nen Strom aus Was­ser­kraft bezie­hen. Eini­ges teu­rer ist der Wind­strom aus dem BKW-Netz, dafür müs­sen zusätz­li­che 18 Rap­pen bezahlt wer­den, für Solar­strom sogar 80 Rap­pen. Ein gutes Geschäft für den Stromlieferanten.

Auf den ersten Blick erstaunt des­halb, wes­halb die BKW Mitte Januar medi­en­wirk­sam ver­kün­dete, sie müsse ihr Enga­ge­ment für den Aus­bau erneu­er­ba­rer Ener­gien in der Schweiz dra­stisch sen­ken. Weil der Wider­stand gegen neue Wind- und Was­ser­kraft­werke zu gross und die Bewil­li­gungs­ver­fah­ren zu kom­pli­ziert seien. Tat­sa­che ist: Öko­strom lässt sich nur teuer ver­kau­fen, solange er ein Nischen­pro­dukt bleibt… Immer­hin unter­stützt die BKW Pri­vate, die sich eine eigene Solar­an­lage lei­sten wol­len, mit einem ein­ma­li­gen Bei­trag von 1000 Fran­ken. Eine schöne Geste, und vor allem ele­gant, denn für die Kosten die­ser Image­kam­pa­gne kom­men, wie Recher­chen des Beob­ach­ters zei­gen, die Her­stel­ler und Instal­la­teure der Anla­gen auf.

Ist so eine Klein­an­lage erst ein­mal in Betrieb, wird die BKW sogar gei­zig: Wäh­rend andere Netz­be­trei­ber für Öko­strom im Sinne der För­de­rung von alter­na­ti­ven Ener­gien einen guten Preis bezah­len, erhält, wer sei­nen über­schüs­si­gen Strom ins BKW-Netz ein­speist, von ihr gerade mal das gesetz­lich vor­ge­schrie­bene Mini­mum ver­gü­tet. Was natür­lich die Inve­sti­ti­ons­lust nicht gerade för­dert. Auch das hat System: Mit jedem Ein­zel­nen, der seine Ener­gie aus eige­ner Pro­duk­tion bezieht, ent­fällt ein Kunde. Wenn er dar­über hin­aus noch Strom ins Netz ein­speist, wird er zum Kon­kur­ren­ten. Dezen­tra­li­sie­rung bedeu­tet Macht­ver­lust für die Grossen.

Des­halb zieht die BKW den Bau von AKWs der För­de­rung erneu­er­ba­rer Ener­gien vor. Trotz gros­ser Wider­stände in der Bevöl­ke­rung, lang­wie­ri­ger Bewil­li­gungs­ver­fah­ren und – nach wie vor – unge­lö­ster Abfallprobleme.

Mohamed Bouazizi

Am 17. Dezem­ber 2010 hat sich Moha­med Boua­zizi mit Ben­zin über­gos­sen und ange­zün­det. Am 4. Januar ist er gestor­ben. Um gleich wie­der auf­zu­er­ste­hen – als tra­gi­scher Held, Mär­ty­rer. Bei­spiel­haft für Mil­lio­nen jun­ger Men­schen, die durch Miss­wirt­schaft und Macht­miss­brauch alter Poten­ta­ten ihrer Zukunfts­per­spek­ti­ven beraubt wor­den sind.

Moha­med Boua­zi­zis Selbst­ver­bren­nung war, ange­sichts der herr­schen­den Ver­hält­nisse in Län­dern wie Tune­sien, Alge­rien oder Ägyp­ten, bestimmt kein Ein­zel­fall. Aber sie war der berühmte Trop­fen, der das Fass zum Über­lau­fen gebracht hat. Sein Tod löste eine Volks­be­we­gung, ein poli­ti­sches Erd­be­ben aus – weil die Zeit dafür reif war. Damit wurde Moha­med Boua­zizi post­hum zum Hel­den. Ohne die Ver­zweif­lungs­tat und ihre Fol­gen hätte sich kaum je jemand für seine Geschichte inter­es­siert. Doch nun erhält seine Bio­gra­fie plötz­lich höhere Bedeutung.

So wird zum Bei­spiel man­cher­orts kol­por­tiert, im Nach­hin­ein hätte seine Fami­lie den Tod als «Unfall» hin­ge­stellt. Nach­voll­zieh­bar, falls dies stimmt – denn Selbst­mord ist im Islam genauso wenig vor­ge­se­hen wie in der katho­li­schen Kir­che. Unmiss­ver­ständ­lich die Ent­täu­schung des Spie­gel-Jour­na­li­sten, der im Lead zu sei­ner Bericht­erstat­tung aus dem Ort des Gesche­hens vor­wurfs­voll fragt: «Beging der 26-Jäh­rige die Ver­zweif­lungs­tat gar nicht aus poli­ti­schen Grün­den?» Bemer­kens­wert die Einig­keit einer gan­zen Anzahl hie­si­ger Medien, die aus dem 26jährigen Markt­fah­rer, der mit Gemüse han­delte, einen «jun­gen, arbeits­lo­sen und armen Aka­de­mi­ker» mach­ten – so z.B. in der gest­ri­gen Frank­fur­ter Rund­schau nachzulesen.

Auch in der WOZ und bei der BBC ist Moha­med Boua­zizi ein Stu­dier­ter. Andere Medien wol­len noch prä­zi­ser wis­sen, dass er Infor­ma­ti­ker war. So etwa die Inter­na­tio­nal Busi­ness Time, die ihm einen Abschluss in Com­pu­ter­wis­sen­schaft zuschreibt. Andere Por­träts berich­ten, Moha­med Boua­zizi hätte nach dem frü­hen Tod des Vaters seine Mut­ter und die fünf jün­ge­ren Geschwi­ster ernäh­ren müs­sen und des­halb die Schule abge­bro­chen. Laut NZZ aller­dings erst «kurz vor der Matur». Seine Schwe­stern wer­den zitiert, die eine mit der Aus­sage, ihr gros­ser Bru­der hätte gerne stu­diert. Die andere erzählt, er hätte hart gear­bei­tet, damit sie, seine jün­ge­ren Geschwi­ster, der­einst die Uni­ver­si­tät besu­chen könnten.

Warum nur ist das so wich­tig? Zäh­len arbeits- und per­spek­ti­ven­lose Aka­de­mi­ker und Aka­de­mi­ke­rin­nen mehr als andere? Fast kommt der Ver­dacht auf, dass das Schick­sal eines «ein­fa­chen» Gemü­se­händ­lers, der ange­sichts der herr­schen­den Miss­stände ver­geb­lich ver­sucht hat, sich und seine Fami­lie durch­zu­brin­gen und daran ver­zwei­felt ist, unsere Auf­merk­sam­keit nicht ver­dient hätte.

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