Revolutionsfieber

Zappen. Von Al-Jazeera über BBC World auf CNN und SF 1. Während der Reporter in 10vor10 noch spe­ku­liert – wei­ter zap­pen auf Al Jazeera — ver­kün­det Hosni Mubarak live – nein, nicht sei­nen Rücktritt. Kaffee trin­kend sit­zen wir vor dem Fernseher und erle­ben dank Simultanübersetzung die mit Spannung erwar­te­te Rede des Präsidenten an sein Volk in Echtzeit. Wir hän­gen an sei­nen Lippen, Wort für Wort – ein Hauch von Revolutionsfieber hat auch uns erfasst; wir ban­gen und hof­fen mit den Menschen dort draus­sen in der Nacht, die uns auf dem Bildschirm vir­tu­ell so nahe sind.Ratlos und wütend auch wir.

Die Schuld an die­ser Diktatur trägt aller­dings nicht Mubarak allein. Dass er das Land wäh­rend 30 Jahren so beherr­schen konn­te, war nur mög­lich, weil er Verbündete hat­te: Seine Herrschaft nütz­te vie­len — im In- wie im Ausland. Und jene, die weder direk­ten Nutzen dar­aus zogen noch dar­un­ter lit­ten, ver­schlos­sen Augen und Ohren. Wir alle. Ägypten – das war das Land Tutanchamuns, der Pyramiden und der Tauchferien am Roten Meer. Mehr woll­te man nicht wissen.

Staatsmännisch und klug gewählt sind Mubaraks Worte. Fast beschei­den tönt, wenn er von 30 Jahren Engagement für sein Land erzählt: Davon, dass er Sicherheit und Frieden gebracht habe. Dass er die Menschen auch jetzt nicht im Stich las­sen wol­le und dafür sor­gen wer­de, dass der Übergang in eine neue Ära mit den kom­men­den Wahlen in Sicherheit und Frieden über die Bühne gehe. Er spielt sei­ne Rolle gekonnt und ver­kün­det, er wer­de bis zu den Wahlen im Amt blei­ben und der­einst auf ägyp­ti­schem Boden ster­ben. Woran nie­mand mehr glaubt, ange­sichts des Drucks von der Strasse und der inter­na­tio­na­len Diplomatie. Warum dankt er nicht ab? Ist die gan­ze TV-Ansprache eine gros­se Show? Oder lei­det der Noch-Präsident unter der­ar­ti­gem Realitätsverlust, dass er tat­säch­lich dar­an glaubt, das Ruder noch her­um­reis­sen zu können?

Jetzt, wo Millionen in ganz Ägypten demons­trie­ren und nur noch eines wol­len: Seinen Rücktritt. Weil sie zu lan­ge ver­geb­lich auf Veränderung gewar­tet haben. Demokratie am Nil, Gerechtigkeit und Entwicklung — Veränderungen, auf die wir alle hof­fen. Denn seit die Welt nach Ägypten blickt, die Medien von Repression, Tyrannenherrschaft und den ins Ausland ver­scho­be­nen Milliarden berich­ten, enga­gie­ren auch wir uns — emo­tio­nal. Noch weiss kei­ner, wie es wei­ter geht. In den letz­ten Tagen waren die Prognosen immer wie­der falsch. Und so besteht immer­hin Hoffnung, dass auch ich falsch liege.

Mit der dunk­len Vorahnung, abge­lei­tet aus der Erinnerung an die oran­ge Revolution und dar­an, was aus den dama­li­gen Hoffnungen gewor­den ist. Und aus all den ande­ren Volksbewegungen und Aufständen, wo für Momente der Traum einer gerech­te­ren Welt Wirklichkeit zu wer­den versprach.

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