Die Revolution und wir

Nach­dem ich aus­gie­big über die Abstim­mungs­er­geb­nisse vom letz­ten Wochen­ende geklagt hatte, fragte mich der Freund, ob ich mich denn nicht wenig­stens über die Revo­lu­tio­nen in Tune­sien und Ägyp­ten freuen würde… Wäh­rend Tagen mit­ge­fie­bert, per Inter­net und TV die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen wenn immer mög­lich live mit­ver­folgt. Gesurft und gezappt statt gear­bei­tet… Bestür­zung, als Muba­rak den Rück­tritt noch und noch hinauszögerte. 

Erleich­te­rung und Genug­tu­ung dann, als er schliess­lich doch gehen musste. Ja, und Freude dar­über, wie sich die Men­schen sel­ber orga­ni­siert und gemein­sam mit fried­li­cher Kraft der Gewalt erfolg­reich die Stirn gebo­ten haben. So etwas möchte ich auch ein­mal erle­ben! Und an die Uto­pie glau­ben, dass Men­schen ihr Schick­sal in die eige­nen Hände neh­men und selbst­be­stimmt nicht nur einen echt demo­kra­ti­schen Staat auf­bauen, son­dern auch soziale und wirt­schaft­li­che Ver­hält­nisse schaf­fen kön­nen, die jedem und jeder eine Zukunfts­per­spek­tive erlau­ben. Nie­mand wird so naiv sein, sich tat­säch­lich sol­cher Träu­me­rei hinzugeben.

Die real exi­stie­ren­den Macht­ver­hält­nisse sind noch kaum ins Wan­ken gera­ten, geschweige denn die Ver­tei­lung der Res­sour­cen. Und wenn dies nicht geschieht, wird die Freude über Muba­raks und Ben Alis Abdan­kung bald neuer Ver­zweif­lung und Fru­stra­tion wei­chen. Tau­sende glau­ben schon jetzt nicht daran, dass sich das Blatt zum Guten wen­den wird und sie in ihrer Hei­mat künf­tig eine Chance haben wer­den. Sie nutz­ten die Gunst der Stunde und wag­ten die gefähr­li­che Flucht übers Meer nach Europa.

Noch waren die letz­ten Revo­lu­tio­näre nicht vom Tah­rir Platz abge­zo­gen, als die Bil­der aus Kairo in den Medien von den ersten Berich­ten über Boots­flücht­lin­gen vor Lam­pe­dusa abge­löst wur­den. Sofort brach der Jubel über die Befrei­ung der unter­drück­ten Völ­ker ab. Das Inter­esse am wei­te­ren Fort­gang der Ereig­nisse in Tune­sien und Ägyp­ten und daran, wie es den Men­schen dort wirk­lich ergeht, wich der Angst vor jenen, die da kom­men woll­ten. Bereits vor zwei Wochen titelte der Blick „Jetzt droht uns ein Flücht­lings­strom aus Ägyp­ten!“ – na und?

Wol­len wir nicht auch unse­ren Bei­trag lei­sten, an eine bes­sere Welt? Zuge­ge­ben, unser Herz ist eher mit jenen, die blei­ben. Die sich in der Revo­lu­tion enga­gie­ren und dazu bei­tra­gen, dass sich schliess­lich – so hof­fen wir alle – Rechts­staat­lich­keit und Demo­kra­tie durch­set­zen. Aber ist es an uns zu ver­ur­tei­len, wenn jemand diese Kraft nicht auf­bringt? Sein Glück anderswo ver­su­chen will? Europa igelt sich ein und festigt seine Gren­zen. In unmiss­ver­ständ­li­chen Voten machen Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker klar, dass das rei­che Europa nicht bereit ist, zu tei­len. Revo­lu­tion ja – aber nur solange bei uns alles so bleibt wie es war. – Eine Rech­nung die auf die Dauer nicht auf­ge­hen kann.…

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